Von unserem Partner Falk Janotta
Künstliche Intelligenz ist keineswegs neu. In der Phantasie der Menschen hat es schon in der griechischen Mythologie nahezu menschlich wirkende Riesenroboter gegeben. 1837 gab es eine hypothetische Rechenmaschine mit einem Softwareprogramm. 1950 wurden die Asimov’schen Gesetze der Robotik für eine friedliche Koexistenz zwischen Robotern und Menschen formuliert.
Es gab danach immer wieder Ideen und Entwicklungen, die mal erfolgreich waren und mal an Faktoren wie Geld, Rechenleistung oder Unterstützung scheiterten. Und dann kam Ende 2022 ChatGPT ins öffentliche Bewusstsein. Plötzlich war die halbe Welt „KI-basiert“, bietet „KI“-Lösungen für alle Probleme dieser Welt und bieten Berater an, Künstliche Intelligenz zum Wohle von Unternehmen und ihren Kunden einzuführen. Es ist wie mit jeder neuen Entwicklung in der faszinierenden Welt der Informationstechnologie: etwas ist neu, wird gehypt, alle Unternehmen stürzen sich, meist ungeprüft, drauf, investieren viel Geld, das am Ende unter „Interessante Erfahrung“ in den Verlusten auftaucht, und bleiben oft frustriert zurück.
Das muss nicht sein. Jeder seriöse Kaufmann prüft seine Investitionen gewissenhaft und schmeißt sein Geld nicht zum Fenster raus, das ihm jemand mit verlockenden Heilsversprechen geöffnet hat. Ich möchte nicht missverstanden werden: ich liebe neue Entwicklungen seit ich Elektronische Datenverarbeitung (EDV) mache, damals noch mit Lochkarten. Ich gehöre wohl eher zu den Early Adopters, die neue Technologien und Entwicklungen frühzeitig ausprobieren. Dennoch mahne ich zur Vorsicht vor der eigenen Euphorie, in die man verfallen kann, wenn man sich die Möglichkeiten und Potenziale von KI ansieht. Vorsicht auch vor Beratern, die Unternehmer und Manager treiben mit dem immer gleichen Argument „Wenn Sie dieses oder jenes jetzt nicht machen, verlieren Sie den Anschluss und verschwinden vom Markt“. Vorsicht schließlich vor voreiligen Systementscheidungen, die immer große Kosten, Aufwände und Veränderungen nach sich ziehen, viel Zeit kosten und gemanagt werden müssen.
Definition und Philosophie von KI
Gibt man „Definition künstliche Intelligenz“ bei Google ein, erhält man über sechs Millionen Ergebnisse, bei Bing sind es interessanterweise nur 119.000 Treffer. Laut Wikipedia lautet die Definition so: „... ist ein Teilgebiet der Informatik. Es umfasst alle Anstrengungen, deren Ziel es ist, Maschinen intelligent zu machen. KI wird verstanden als die Eigenschaft, die ein Wesen befähigt, angemessen und vorausschauend in seiner Umgebung zu agieren. Dazu gehört die Fähigkeit, Umgebungsdaten wahrzunehmen, d. h. Sinneseindrücke zu haben, und darauf zu reagieren, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und als Wissen zu speichern, Sprache zu verstehen und zu erzeugen, Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen. Darüber hinaus ist KI die Fähigkeit von Maschinen, menschliche Intelligenz nachzubilden. Das bedeutet, die KI kann wie der Mensch aus Erfahrungen lernen, indem sie Muster erkennt und dadurch flexibel auf neue Situationen reagiert. Es ist wichtig zu beachten, dass es keine offizielle Definition der künstlichen Intelligenz gibt, da es bisher noch keine Definition für Intelligenz selbst gibt.“
Wir unterscheiden heute spezifische und allgemeine KI. Während spezifische KI eine spezifische Aufgabe ausübt, ist allgemeine KI eine Maschine, die jegliche Formen intellektueller Aufgaben ausführen kann. Insofern sind alle KI-Methoden, die wir heutzutage anwenden, als spezifische KI einzustufen.
Ähnlich verhält es sich mit den Begriffen starke und schwache KI. Diese kondensiert das Problem auf die philosophische Unterscheidung zwischen intelligent sein und sich intelligent verhalten. Starke KI ist demnach mit einem „Verstand“ gleichzusetzen, der wirklich intelligent und sich seiner selbst bewusst ist. Schwache KI ist das, was wir tatsächlich haben, nämlich Systeme, die intelligentes Verhalten an den Tag legen, obwohl sie „nur“ Computer sind.
Und damit kommen wir zu den Aspekten, die wesentlich für KI sind, nämlich Autonomie und Anpassungsfähigkeit. Autonomie ist die Fähigkeit, ohne permanente Anleitung durch einen Nutzer Aufgaben in einem komplexen Umfeld auszuführen. Anpassungsfähigkeit ist die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen und dadurch die Leistung zu verbessern. Damit können wir ein gemeinsames Verständnis zu künstlicher Intelligenz nutzen, wenn wir darüber sprechen.
Der Medien-Hype um die Künstliche Intelligenz
Im November 2022 wurde ChatGPT der breiten Öffentlichkeit vorgestellt und löste einen selten da gewesenen Hype aus. Innerhalb von fünf Tagen erreichte ChatGPT eine Million Nutzer. Dafür haben Netflix dreieinhalb Jahre, Twitter zwei Jahre, Facebook zehn Monate und Instagram 75 Tage gebraucht. Die Berichterstattung meldete immer häufiger die KI im Kontext von Themen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft:
- Wenn Maschinen lügen lernen - Künstliche Intelligenz erschafft neue Realitäten. Was passiert, wenn wir sie nicht mehr von der echten Welt unterscheiden können? Spiegel (www.spiegel.de)
- „Es kann sein, dass wir verdammt sind“ - Der Oxford-Philosoph Nick Bostrom warnt davor, dass eine künstliche Intelligenz bald schlauer als der Mensch sein könnte. Was, wenn er recht behält? Spiegel (www.spiegel.de)
- "Jemand könnte etwas sehr Dummes bauen, das die Menschheit auslöscht" - Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Club, erklärt, wie die Menschheit vor der KI-Apokalypse bewahrt werden kann, und benennt die netzpolitischen Fehler der Bundesregierung. Süddeutsche Zeitung (www.sueddeutsche.de)
- "Bald fragen wir uns: Wieso wurden für diese Jobs Menschen gebraucht?" - Nun wird es schnell gehen. Maschinen ersetzen Menschen. Neue Berufe entstehen. Der Zukunftsforscher Lars Thomsen erklärt, warum es zu Aufständen kommen könnte. Die Zeit (www.zeit.de)
- Forscher fürchten Aussterben der Menschheit - Die Angst, dass Künstliche Intelligenz ganze Berufe einnimmt, wächst stetig. Jetzt sprechen Wissenschaftler davon, dass sogar die Menschheit ihretwegen aussterben könnte. Bild (www.bild.de)
Wie diese Beispiele zeigen, werden wir in den Medien nicht nur mit unzähligen Schlagzeilen und Nachrichten über KI überhäuft. Die Überschriften und die Unterzeilen schüren vor allem ganz oft Ängste, drücken Befürchtungen aus, stellen provokante Fragen oder sind sogar im Konjunktiv formuliert. Das ist für Privatpersonen ebenso gefährlich wie für Unternehmensentscheider.
Diese Schlagzeilen und Meldungen tragen nichts zur objektiven Auseinandersetzung mit der Frage bei, wie Unternehmen künstliche Intelligenz sinnvoll einsetzen und nutzen sollen. Im Gegenteil: selbst so renommierte Formate für IT-Entscheider wie das CIO-Magazin drängen dazu, umgehend zu handeln. Verbunden immer mit der subtilen Drohung, dass man sonst abgehängt würde und der Untergang des Unternehmens drohe. Im CIO-Magazin online vom 29. Dezember 2023 in der Rubrik „IT-Ausblick 2024“ gab es diese Titelzeile: „Künstliche Intelligenz drängt zum Handeln“. Darunter als Aufmacher: „Der Einsatz generativer KI wird eine technologische und ökonomische Revolution auslösen. 2024 ist das Jahr, um weitere Erfahrungen zu sammeln und Anwendungen zu skalieren.“ Es folgen vier Behauptungen, die das Thema heiß machen sollen:
- Marktreife KI-Tools können schon heute bis zu 20 Prozent der Arbeitsabläufe ohne Qualitätsverlust beschleunigen.
- Drei von vier Entscheidern berichten, dass ihre Erwartungen beim Einsatz von KI im Coding erfüllt oder sogar übertroffen wurden.
- KI-Werkzeuge werden nicht nur Abläufe in der IT und darüber hinaus schneller und günstiger machen, sondern auch neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.
- Unternehmen müssen dafür die richtigen Anwendungen wählen, die Anbindung der KI-Tools an die bestehende IT- und Datenarchitektur sicherstellen sowie den Prozess aktiv begleiten.
Im Artikel werden die vielen Vorteile der generativen KI beschrieben auf der Basis von Schätzungen und Berechnungen von Beratern sowie von Befragungen von CIOs. Solche Botschaften kennen wir aus früheren Hypes um Agilität, Digitalisierung oder Lean Management. Es wird mit Erwartungen in die Zukunft gearbeitet, die einer seriösen Analyse und Prüfung nur selten standhalten und dadurch die Entscheider in den Unternehmen verunsichern.
Quo vadis Künstliche Intelligenz?
Aus der relativ kurzen Geschichte der KI können wir wertvolle Lektionen über den Umgang mit unrealistischen Erwartungen lernen. Es ist wichtig, den Enthusiasmus für diese faszinierende Technologie zu kanalisieren, damit wir kontinuierliche Fortschritte erzielen. Das können wir erreichen, indem wir lernen die Komplexität der menschlichen Intelligenz und die Grenzen von KI besser zu verstehen. Derzeit lässt sich beobachten, dass die erste Euphorie über die Leistungsfähigkeit von KI, die sich über die schiere Größe der Modelle definiert, verfliegt. Stattdessen rücken andere Aspekte in den Vordergrund, die über den Erfolg einer KI entscheiden: die Zweckgebundenheit der Lösung, die Sicherheit und die Privatsphäre sowie die Rechenleistung im Sinn der Nachhaltigkeit. Auch die Kunden bzw. Anwender von KI-Lösungen müssen erst noch lernen, wofür und wie sie die KI nutzen wollen. Hinzu kommen bei der Entscheidungsfindung Faktoren wie der Preis, die Risikoeinschätzung, die Abhängigkeit vom Anbieter bzw. Entwickler und die Sicherheit der Daten.
Aufgrund vieler bereits erkannter Gefahren des KI-Einsatzes wird weltweit an Regulierungen der KI gearbeitet. So hat zum Beispiel die Europäische Union Ende 2023 Regeln zur Nutzung der Künstlichen Intelligenz festgelegt. Der sogenannte „AI Act“ bestimmt Verpflichtungen auf der Basis von potenziellen Risiken und Auswirkungen der KI. Anwendungen mit einem erheblichen Schadenspotenzial für Gesundheit, Demokratie, Umwelt oder Sicherheit werden als besonders riskant eingestuft. Ob und wie diese Regeln ihren Zweck erfüllen (können), werden wir erst in der konkreten Anwendung und möglicherweise durch Gerichtsurteile erfahren. Das bedeutet, dass diese Regeln permanent überprüft und falls nötig angepasst werden müssen.
Ausblick: Chancen und Risiken
Wir können bedeutende Entwicklungen in Bereichen wie automatische Bilderkennung, virtuelle Assistenten, roboterbasierte Prozessautomatisierung, fortschrittliches maschinelles Lernen und natürliche Sprachverarbeitung erwarten. Mächtige KI-Modelle wie GPT greifen nun sogar auf aktuelle Internetdaten zu, während multimodale Systeme verschiedene Datentypen kombinieren, um beispielsweise Bilder passend zu einem Text zu generieren. KI-Systeme wie Gato, die auf einer Kombination spezialisierter neuronaler Netze basieren, streben eine umfassende Künstliche Intelligenz an. Diese Systeme können verschiedene Aufgaben gleichzeitig erlernen und mit dem erworbenen Wissen Gespräche führen, Videospiele spielen oder einen Roboterarm steuern, so die Angaben der Firma DeepMind.
In der Medizin und Biologie revolutioniert Künstliche Intelligenz die Forschung, ermöglicht einen schnelleren Informationsaustausch und verbessert Diagnosen. Während der Coronapandemie half KI, die Verbreitung des Virus vorherzusagen und die Impfstoffforschung zu unterstützen. KI-Technologien halten zunehmend Einzug in unseren Alltag mit persönlichen Assistenten, Haushaltsrobotern, Sprachergänzungsalgorithmen und autonom fahrenden Autos. Die Erschließung weiterer kognitiver Tätigkeiten durch KI, wie Assistenzjobs oder Programmieraufgaben, steht bevor. Dabei wird KI in einigen Fällen neue Stellen schaffen oder die Methodik von Tätigkeiten verändern, während sie in anderen Fällen Berufsprofile ersetzen wird.
Das langfristige Ziel der KI-Entwicklung ist jedoch eine Allgemeine Künstliche Intelligenz mit menschenähnlichem Verstand, die vielfältige Aufgaben erfolgreich bewältigt. Doch Experten sind sich einig, dass dieses Ziel noch mehrere Jahrzehnte entfernt liegt. Die Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass die KI entlang menschlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist, um eine bessere Zukunft mit Künstlicher Intelligenz zu ermöglichen und potenziellen Gefahren vorzubeugen. Dieses Ausrichtungsproblem, auch als "Alignment-Problem" bekannt, erfordert die Anpassung von KI an Normen, Werte und Absichten, um ihre positive Integration in die Gesellschaft zu gewährleisten.
Resümee
Künstliche Intelligenz hat ein enormes Potenzial für signifikante Fortschritte in nahezu allen Lebensbereichen. Und sie birgt Risiken, die es unbedingt zu berücksichtigen gilt. Unternehmer und Manager müssen sich mit dem Thema KI auseinandersetzen. Ich empfehle, sich sehr sorgfältig und mit dem gebotenen Realitätssinn mit den Chancen und Risiken des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz zu befassen.
Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen und lassen Sie sich nicht treiben, weil Sie vermeintlich keine Zeit mehr haben. Prüfen Sie die Chancen und Risiken ganzheitlich, bevor Sie sich in vage KI-Abenteuer stürzen, nur weil es „alle machen“. Denken und handeln Sie auch in dieser Frage unternehmerisch. Ich möchte Sie motivieren, sich mit KI und ihren gewaltigen Möglichkeiten zu beschäftigen. Beurteilen Sie die weitere Entwicklung, ihre Perspektiven und deren Auswirkungen auf Ihr Unternehmen. Die Entwicklung ist so schnell, dass Sie gar nicht wissen können, ob Ihre heutige Einschätzung in einem halben Jahr noch zutrifft. Gleichzeitig möchte ich Sie davor bewahren, vorschnelle oder falsche Entscheidungen zu treffen. Oder, um es mit Plato zu sagen: „Eine gute Entscheidung basiert auf Wissen und nicht auf Zahlen.“ Vergewissern Sie sich, ob eine Fragestellung oder Aufgabe nicht besser mit Hilfe menschlicher, also mit echter Intelligenz zu lösen ist. Seien Sie einfach schlauer!