Public-Affairs-Management als Hebel für nachhaltige Unternehmenserfolge
Von unserem Partner und INTERIM EXECUTIVE Dr. Marcus Kind
Insbesondere in regulierten Industrien, wie dem Gesundheitswesen, der Energiebranche, der Telekommunikation, oder der Finanzwirtschaft spielen Public Affairs bei der Absicherung und Weiterentwicklung von Erfolgspotenzialen eine wichtige Rolle. Gleichzeitig ist der heutige Politikbetrieb fragmentierter und der Diskurs öffentlicher, direkter und volatiler als je zuvor. Das „Politische Riesenrad“ dreht sich schneller. Die politischen Customer Journeys sind komplexer und das Management der Entscheidungsprozesse und Themen anspruchsvoller geworden.
Für die Unternehmensführung ist es daher unumgänglich, politische Strukturen, Spielregeln und Abläufe innerhalb der für sie relevanten Märkte zu verstehen, kritisch zu hinterfragen und ihre Interessen nutzbringend in politische Entscheidungsprozesse und Kommunikationsabläufe einzubringen. Public Affairs ist nicht nur ein Erfolgsfaktor für große und internationale Konzerne. Auch KMUs oder Start-ups können von Public-Affairs-Management stark profitieren.
Gestiegene Komplexität des Regierungsgeschäfts in Europa
Zur Gewährleistung einer gezielten und wirksamen Interessenvertretung ist ein tiefgreifendes politisches Systemverständnis erforderlich. Spätestens seit dem Vertrag von Lissabon von 2009 setzt erfolgreiche politische Kommunikation einen europäischen Ansatz voraus, der den Aufbau von politischen Netzwerken zwischen zahlreichen Ländern, Institutionen und Parteien umfasst. In der EU beispielsweise ist derzeit ein neuer Grundsatzkonflikt um die Klimapolitik entbrannt, dessen Ausgang für viele deutsche Unternehmen unterschiedlicher Branchen höchst relevant ist. Etliche europäische Regierungen drängen darauf, beim Emissionshandel zurückzurudern und das ursprünglich geplante System komplett zu überarbeiten. Zur Beeinflussung der hierbei auftretenden Fragen und Antworten haben sich bereits einflussreiche Interessengruppen in Stellung gebracht. Aufgrund der Verschiedenartigkeit von Rechtssystematiken sowie der Vielschichtigkeit politischer Anpassungsprozesse können wünschenswerte Marktentwicklungen behindert werden oder Rechtsunsicherheiten entstehen.
In einem Umfeld stetig steigender Komplexität müssen die politischen Debatten und Gesetzgebungsaktivitäten kontinuierlich beobachtet, die Zeitfenster, in denen eine Entscheidungsfindung begleitet werden kann, erkannt und etwaige Einflussmaßnahmen regelmäßig auf ihre Effektivität hin überprüft werden.
Fokussiert und effizient auf dem politischen Parkett
Die Strukturen und Prozesse der Beziehungsnetzwerke, in denen unternehmerische Anliegen mit politischer Entscheidungsrelevanz kommuniziert werden müssen, sind sehr vielschichtig. Nicht nur Mandatsträger sind Ziel von Public-Affairs-Maßnahmen, sondern auch die fachlich relevanten Arbeitsebenen in den Büros der Fraktionen und der Ministerialverwaltung. Wer über Netzwerke in die politischen Institutionen verfügt, kann sich frühzeitig Informationen beschaffen, Unsicherheiten reduzieren und die eigenen Perspektiven zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Schnittstellen einbringen. Dabei macht es einen großen Unterschied, in welchen Kommunikationsräumen wir mit unseren Gesprächspartnern zusammenkommen. Während jahrzehntelang die politische Einflussnahme über klassische Instrumente wie Fachgespräche, Gremienarbeit, Positions- und Strategiepapiere oder parlamentarische Abende erfolgte, haben sich mit den Social-Media-Kanälen Räume geöffnet, die eine zielgruppenspezifischere Kommunikation und Aktivierung ermöglichen.
Angesichts der stetig steigenden Informationsmengen ist Public-Affairs-Management daher ohne den Einsatz digitaler Werkzeuge wie Stakeholder-Relationship-Management-Software, Graphen-Algorithmen zur Visualisierung von Netzwerken, Politikmonitoring Software, oder Social-Media-Listening nicht mehr denkbar. Diese Werkzeuge erhöhen die Produktivität von Kommunikationsprozessen, zeigen verdeckte Zusammenhänge und Interaktionsmuster auf und unterstützen dabei, ein genaueres Bild vom tatsächlichen Einfluss einzelner Politiker oder Interessengruppen zu bekommen. Darüber hinaus stellen sie Mechanismen zur Messung des Fortschritts und der Zielerreichung bereit.
Wenn es jedoch darum geht, in die politischen Machtzentren vorzudringen, in denen Allianzen geschmiedet, Pläne entworfen und die entscheidenden Kompromisse gemacht werden, kann das direkte persönliche Gespräch nicht durch Digitalkommunikation ersetzt werden. Das Ziel von Public Affairs ist der Aufbau von Loyalitätsbeziehungen. Erst die zwischenmenschliche Präsenz schafft gemeinsame Erfahrungen, verbindet und stärkt das Vertrauen.
Return on Political Influence
Die zunehmende politische Dynamik und Dichte von Verordnungen und Gesetzen verlangt nach einem Managementsystem, in dem Public Affairs eine tragende Säule darstellt. Public Affairs ist ein Katalysator zur Erhöhung von Bekanntheit und Reputation und liefert darüber hinaus wichtige Beiträge bei der Identifikation von Geschäftsmöglichkeiten und zur Vorbereitung überzeugender Angebote in öffentlichen Vergabeverfahren. Beispielsweise im Rahmen der innovationsfördernden öffentlichen Auftragsvergabe in der EU: Um einen besseren Einblick in einen Markt zu erhalten, können öffentliche Auftraggeber bei diesen Vergabeverfahren mit potenziellen Anbietern im Wege vorheriger Marktkonsultationen in Kontakt treten und innovative Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Systemlösungen in ein späteres Vergabeverfahren einbeziehen. Insbesondere für innovative Start-ups und KMUs können sich in diesem Rahmen interessante Geschäftschancen eröffnen. Ein weiterer Vorteil: Wenn es Unternehmen gelingt, ihre innovativen Produkte und Leistungen an öffentliche Institutionen zu verkaufen, können dies wichtige Referenzen zur Erzielung zusätzlicher Umsätze im privatwirtschaftlichen Bereich sein.
Interessenvertreter zu hören, ist kein Goodwill von Politikern
Public Affairs sind keine Einbahnstraße. Denn zum Aufbau von Orientierungswissen und zur Entwicklung von Handlungsoptionen sind politisch Verantwortliche auf praxisbezogene Einschätzungen und Wissenstransfers von Experten zu neuen Produkten, Verfahren oder Technologien angewiesen.
Eine weitere zentrale Rolle kommt Public Affairs im Rahmen der Normierung und Standardisierung zu. Normen und Standards tragen dazu bei, Unternehmen und neuen Technologien den Weg auf internationale Märkte zu ebnen und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Ausgehend von diesem Grundsatz kann es strategisches Unternehmensziel sein, sich an Normierungsaktivitäten zu beteiligen und politische Entscheidungsträger auf nationaler und internationaler Ebene über die Wirkungen von Standards und Normen aufzuklären. Aus eigenen Erfahrungen im Ausschreibungsmanagement von IKT-Lösungen sowie in der Normierung in den Segmenten Telekommunikation (ETSI, Sophia Antipolis) und maschinenlesbare Reisedokumente (ICAO, Montreal) kann ich die positiven Beiträge eines integrierten Public-Affairs-Management auf Umsatz, Ergebnis und Technologieführerschaft grundsätzlich bestätigen.
Politische Überzeugungsarbeit nutzt dem Geschäftsmodell
Wirtschaft und Politik operieren in Handlungslogiken, die oft nur schwer übereinander zu bringen sind. Public-Affairs-Management hat daher die Aufgabe, Unternehmensinteressen innerhalb von Politikprozessen zu vermitteln, durchzusetzen und zu verteidigen. Zugleich müssen Public-Affairs-Verantwortliche ihrer Geschäftsführung realistische Einschätzungen darüber geben, inwieweit ein Anliegen in der politischen Wirklichkeit überhaupt erfolgversprechend kommuniziert werden kann, und sie über mögliche Szenarien aufklären.
Erfolgreiches Public-Affairs-Management beginnt mit einem guten Organisations-Design. Damit sich der Wert von Public Affairs voll entfalten kann, empfiehlt sich ein Key-Account-Management-Ansatz mit Senior Executives als „Owner“ für die wichtigsten Beziehungsnetzwerke. Mit diesem Ansatz kann eine widerspruchsfreie, einheitliche und proaktive Kommunikation über alle Kanäle hinweg sichergestellt werden. Public-Affairs-Bereiche sollten über eine direkte C-Level (max. C-Level minus 1) Reporting Line verfügen. Der Dialog beispielsweise mit Ministern ist Aufgabe des Top-Managements. Wegen ihrer großen Bedeutung muss die politische Kommunikation in jedem Fall Teil der Unternehmensstrategie sein und zentral gesteuert werden. Public-Affairs-Verantwortliche müssen über ausgeprägte strategische Kompetenzen sowie Geschick beim Aufbau und der Steuerung hoch dynamischer politischer Netzwerke verfügen. Und sie sollten stets mit einem klaren Mandat zur Vermittlung und Aushandlung der Unternehmensinteressen ausgestattet sein.
Fazit - There is no way around substance
Der Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse ist ein Instrument des Risiko- und Reputationsmanagements und bedeutender Hebel für den Geschäftserfolg. Public Affairs fördert das innerorganisatorische Verständnis für politische Prozesse und liegt gleichermaßen im Interesse von Unternehmen und Politik. Führungskräfte müssen antizipieren können, wie sich politische Entscheidungen auf das Unternehmen auswirken. Public-Affairs-Management setzt daher die genaue Kenntnis des politischen Systems und seiner Mechanismen voraus.
Über den Autor:
Dr. Marcus Kind verfügt über umfangreiche Prozesskompetenzen in der strategischen politischen Kommunikation sowie langjährige Erfahrungen beim Aufbau von Geschäftsbeziehungen zu Regierungen und Behörden. Er hat internationale Normierungsaktivitäten im Sektor Telekommunikation und IT-Sicherheit begleitet sowie erfolgreich an zahlreichen öffentlichen Vergabeverfahren teilgenommen.