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11.12.2023

DR. MARCUS KIND

Beitragsreihe: Richtig Entscheiden

 

Kontext

Manager müssen regelmäßig Entscheidungen unter unsicheren und nicht immer berechenbaren Bedingungen treffen. Verhaltensverbesserungen bei Managemententscheidungen und -urteilen sollten deshalb für jedes Unternehmen aus wirtschaftlicher Perspektive von großem Interesse sein.

Optimierte Entscheidungsprozesse tragen darüber hinaus zur Erhöhung der Qualität und Compliance bei der Umsetzung gesetzlicher Anforderungen – z.B. im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit, der EU-Lieferketten-Richtlinie – bei. Es ist wichtig zu verstehen, wie Entscheider denken und urteilen, um Entscheidungsfehler zu erkennen und gleichzeitig die rationale Argumentation zu verbessern. Dabei können wir uns die Erkenntnisse der Kognitions- und Verhaltensforschung zunutze machen.

 

Stand der Entscheidungsforschung

Das psychologische Verständnis von Unsicherheit in Entscheidungssituationen hat erhebliche Veränderungen erfahren. Bei der Analyse menschlichen Entscheidungsverhaltens kommen verschiedene, sich ergänzende Erklärungskonzepte zur Anwendung. Der präskriptive Ansatz beschäftigt sich mit den Grundpostulaten rationalen Handelns. Menschen verhalten sich jedoch von Natur aus nur beschränkt rational [Thaler R. H., Sunstein C. R.]. Im Gegensatz zum präskriptiven Ansatz versucht der deskriptive Ansatz Erklärungen zu liefern, wie sich Individuen tatsächlich entscheiden.

Der Deskriptive Ansatz trifft andere Annahmen zur mentalen Repräsentation von Entscheidungsproblemen und liefert Antworten auf die Frage, wie Entscheidungsprozesse verlaufen. Die Neue Erwartungstheorie (Prospect Theory) ist heute der prominenteste deskriptive Ansatz zur Erklärung menschlichen Entscheidungsverhaltens [Kahneman D., Tversky A.]. Kahneman wurde hierfür mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet. Mittels der Prospekt Theory können viele empirische Phänomene, die insbesondere aus wirtschaftlicher Perspektive als irrational gelten, erklärt werden. Sie basiert auf dem Zwei-System-Denk-Modell. Laut Kahneman denken wir in zwei Systemen. System 1 arbeitet schnell, automatisch und intuitiv. System 2 langsam, reflektierend, regelgeleitet und trifft bewusste Entscheidungen [Kahneman D.]. Das Zusammenspiel beider Systeme produziert systematisch eine Vielzahl kognitiver Verzerrungen und begünstigt so Entscheidungsfehler.

In dieser Beitragsreihe sollen besonders relevante Mechanismen und Faktoren aufgezeigt werden, die uns in der Unternehmenspraxis fast routinemäßig bei der Entscheidungsfindung beeinträchtigen. Gleichzeitig sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, die einen Beitrag dazu leisten können, die Qualität von Managemententscheidungen zu verbessern. Es ist bereits viel gewonnen, wenn wir die insbesondere in den „Kategorien“ Selbstüberschätzung, Selbstbestätigung und Framing häufig auftretenden Denkfehler besser in den Griff bekommen. Beginnen werde ich mit dem Rückschaufehler.

 

Rückschaufehler (Hindsight Bias)

„Hinterher sind alle klüger“ – Beim Hindsight Bias handelt es sich um eine Facette der Selbstüberschätzung. Wir tendieren systematisch dazu, die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses rückblickend (nach Eintritt) zu überschätzen. Wir wollen Ereignisse und Wahrnehmungen logisch werden lassen und verstehbar machen. Statt die neue Dimension eines Ereignisses zu begreifen, verschieben wir den Fokus und neigen dazu, das, was geschehen ist, als unausweichlich zu betrachten. Bei unserem Blick in die Vergangenheit sind wir davon überzeugt, sie verstehen zu können. Dies ist eine Illusion [Kahneman D.]. Wir erinnern uns sogar falsch an unsere eigenen Vorhersagen, und übertreiben rückblickend, was wir bereits vorher gewusst haben [Fischhoff B.].

Darüber hinaus neigen wir zu der Ansicht, dass andere Beteiligte den Ausgang eines Ereignisses viel besser hätten vorhersehen müssen, als dies tatsächlich der Fall war [Fischhoff B.]. Nachdem wir um ein eingetretenes Ereignis wissen, ist es uns jedoch nicht möglich, uns in denselben geistigen Zustand zu versetzen wie zuvor.

Der Rückschaufehler ist in der betrieblichen Praxis insbesondere in den Aufgabenfeldern Strategieentwicklung, Projektmanagement, Compliance, Risikobewertung und Finanzierung von hoher Relevanz. Der Hindsight Bias erklärt auch die Beobachtung, dass sich oftmals gleiche Fehler wiederholen. Sie werden verdrängt, unterschätzt und vergessen. Die zukünftige Vermeidung wird organisatorisch und in den Prozessen nicht adäquat geregelt.

Methoden und Maßnahmen zur Fehlervermeidung

  • Bewusstes Einkalkulieren dieser menschlichen Neigung und dadurch Verbesserung des Lernprozesses
  • Festlegung von Routinen, Regeln und Prozessen zur Strukturierung und Verarbeitung von Informationen
  • Dokumentation von Entscheidungsgrundlagen zum Zeitpunkt der Entscheidung (z.B. Risikoanalysen)
  • Kontinuierlicher Abgleich mit neuen Erfahrungssätzen
  • Reflektierendes Denken in der Organisation fördern
  • Etablieren eines präventiven Fehlermanagements
  • Einsetzen und Befähigen von Beobachtern bei Entscheidungsprozessen

 

„Gute Beurteiler sind oftmals erfahren und intelligent, aber sie neigen auch dazu, sich aktiv selbst zu hinterfragen und bereitwillig aus neuen Informationen zu lernen [Kahnemann D., Sibony O., Sunstein C. R.]“

 

 

Fischhoff B. – For Those Condemned to Study the Past: Heuristics and Biases in Hindsight

Grawe K. – Neuropsychotherapie

Jungermann H., Pfister H.-R. und Fischer K. – Die Psychologie der Entscheidung

Kahneman D. – Schnelles Denken, langsames Denken

Kahneman D., Sibony O., Sunstein C. R. – Noise Klein G. – Sources of Power: How People Make Decisions

Thaler R. H., Sunstein C. R. – Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt

Tversky A., Kahneman D. – Prospect Theory: An analysis of decision under risk

 

 

AUTOR

Dr. Marcus Kind, Interim Executive

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