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25.09.2024

Mensch im B2B trotz KI

Die Kundenkommunikation hat sich nachhaltig verändert. Für viele Kunden, die sich über Produkte und Dienstleistungen informieren möchten, ist die „Selbstbedienung“ über digitale Kanäle heute die Norm. Das Investitionsvolumen von Unternehmen in die Digitalisierung und Automatisierung der Kundenschnittstellen zur Bereitstellung von Informationen steigt kontinuierlich. Krisen wie die Corona-Pandemie haben diesen Trend noch beschleunigt: Video Meetings statt Präsenzterminen, virtuelle Produktpräsentationen anstelle von persönlichen Vorstellungen beim Kunden, die Verknüpfung von Datenbanken zur Optimierung der digitalen Kundenansprache und Erhöhung der Kommunikationsfrequenz.

In dem vorliegenden Beitrag steht nicht die Diskussion von Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI), Chatbots, Daten-Management-Plattformen oder Analyse- & Automatisierungstools zur Gestaltung von Kundenbeziehungen im Vordergrund. Das positive Nutzenpotenzial dieser technologischen Entwicklungen für die Sales-/Aftersales- und Marketing-Prozesse ist unbestritten. Unserer Erfahrung nach führt Digitalisierung auch nicht weiter weg vom Kunden, sondern näher an ihn heran. Die Herausforderung liegt nicht in den Technologien und Systemen selbst, sondern darin, wie wir sie im Umgang mit unseren Kunden effektiv und effizient nutzen.

B2B-Vertrieb: Mensch + Digital

Das Beratungsunternehmen Simon-Kucher kommt in seiner „B2B Global Sales Study (Dezember 2023)“, an der 1500 B2B-Entscheider partizipiert haben, zu folgenden Schlüssen:

  • „A closer and more personal relationship with customers helps Allstars (strongly growing and highly profitable players) adapt better to the changing market dynamics.
  • In-person and one-to-one interactions saw a significant rise in importance among Allstars. Conversely, selling via virtual sales channels like webchat has declined in prominence.
  • The bestselling teams nurture more personal customer relationships.
  • The fastest growing companies invest the most in their sales function.”

Eine weitere im April 2023 veröffentlichte „B2B Pulse-Studie“ von McKinsey, an der mehr als 3.800 B2B-Entscheider aus 13 Ländern teilgenommen haben, kommt zu dem Ergebnis, dass Kunden einen in etwa gleichverteilten Mix aus traditionellen Vertriebskanälen (z.B. In-person Meetings), Remote-Kanälen (z.B. Video-Konferenzen, Email, Telefon) und Selbstbedienungskanälen (z.B. Ecommerce, Websites, Chatbots, Konfiguratoren) während des Kaufprozesses bevorzugen.

Trotz aller Fortschritte zur Optimierung des Vertriebszyklus mittels digitaler Kanäle und Tools (z.B. durch KI-befähigte CRM-Systeme) zeigt sich also: Digitale bzw. digital automatisierte Kommunikation kann dem Anspruch unserer Kunden an einen effektiven Informationsaustausch nicht vollumfänglich gerecht werden. Denn dabei fällt es aufgrund der räumlichen Distanz schwerer, sich in die  (persönliche) Situation der Kunden hinein zu versetzen. Die unausgesprochenen, feinsinnigen Informationen zu Stimmungen und individuellen emotionalen Voraussetzungen fehlen dann komplett. Beispielsweise können unterschwellige Abwägungen in Verhandlungssituationen nicht stattfinden. Gleichzeitig tendieren wir in der Kommunikation über digitale Medien dazu, einander über einen kürzeren Zeitraum aktiv zuzuhören - mit negativen Auswirkungen auf die Verständnisabsicherung sowie unsere Kompromiss-, Diskurs- und Reflexionsfähigkeiten. Die wertvollsten und oft entscheidenden Gesprächssituationen entstehen, wenn wir im direkten zwischenmenschlichen Gespräch unseren Kunden die volle Aufmerksamkeit schenken können.

Bei der Priorisierung von Digitalisierungsinitiativen sollten wir deshalb den Kurs sorgfältig wählen und unsere einzigartigen menschlichen Fähigkeiten wie empathische Kommunikation, emotionale Intelligenz, Intuition, Anteilnahme, Kreativität und Teamarbeit zur Lösung von Konflikten nicht aus dem Blick verlieren. In der direkten zwischenmenschlichen Kommunikation liegen Feinheiten, die nicht definiert, nicht von KI-Systemen verstanden und vorhergesagt oder anhand von Leistungsparametern gemessen werden können.

Es macht einen großen Unterschied, in welchen Kommunikationsräumen wir mit unseren Kunden zusammenkommen. Digitalkommunikation täuscht oft eine Nähe vor, die nicht da ist. Die Frage, die jedes Unternehmen für sich individuell beantworten muss, ist: Wie sieht die für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung optimale Kombination von physischen Kundenbeziehungen, digital unterstützten Vertriebsmodellen und rein automatisierten Vertriebs- und Marketingansätzen aus?

Aus der Vertriebspraxis

Die Kommunikationsprozesse im B2B-Geschäft – von der Informationsbeschaffung über die Bestellung bis hin zum Service – haben sich tiefgreifend gewandelt. Basierte das Kaufverhalten in der Vergangenheit überwiegend auf persönlichen Nahbeziehungen und direktem Austausch, spielen heute digitale Kanäle/Plattformen eine immer wichtigere Rolle.

Damit es gelingt, unsere Kunden entlang ihrer Kommunikations-Kontaktpunkte in ihren Kaufentscheidungen zu bestärken, müssen folgende Kernfragen vom Vertriebsmanagement regelmäßig beleuchtet werden:

  • Wie kann ich mein Vertriebsgeschäft beschleunigen und die Effektivität meiner Vertriebsteams erhöhen?
  • Wie kann ich meine Vertriebskanäle optimal vernetzten?
  • Welche digitalen Vertriebskanäle sollte ich ausbauen?
  • Wie kann ich mein physisches und digitales Vertriebsmanagement optimieren (z.B. kürzere, zielgerichtetere In-Person Meetings durch digitale unterstützte Informationsbereitstellung während des Kaufprozesses)?
  • Wie kann ich Distributionskanalkonflikte minimieren bzw. vermeiden?
  • Wie kann ich meine Selling-Time maximieren und Dead-Sales-Time vermeiden?
  • Welche Daten benötige ich für eine erfolgreiche Vertriebssteuerung?
  • Wie können eine digital unterstützte Datenanalyse (z.B. durch BI-Anwendungen) und KI meine Vertriebsplanung (z.B. Account-Level Intelligence, Deal-Level Insights), Vertriebssteuerung (z.B. Analysen, die es mir ermöglichen meine Vertriebszeit zu priorisieren) und mein Angebotswesen (z.B. Smart Offering) unterstützen?

Das konkrete Design der Customer Journeys und der zum jeweiligen Kontext passende Grad der digital unterstützten Aufbereitung und Bereitstellung von Informationen hängt dabei auch vom Leistungsportfolio des Unternehmens ab. Beim Verkauf von Standard-/Serienprodukten mit einer hoch fragmentierten Kundenbasis können verstärkte Automatisierungsinvestitionen dazu beitragen, die Effizienz und Effektivität der Vertriebsprozesse deutlich zu erhöhen. Hingegen ist zur Gewährleistung einer gelungenen Customer Experience bei der Vermarktung komplexer, individueller Produktlösungen insbesondere die digital unterstützte Strukturierung des Informationsangebots (z.B. mittels Produkt-Konfiguratoren) auf den jeweiligen Stufen des Informationsprozesses von zentraler Bedeutung. Zudem spielt es für B2B-Hersteller z.B. aus der Elektrotechnik, deren Vermarktung über ein mehrstufiges Vertriebssystem – Planer, Ingenieurbüros, Elektrogroßhandel, Installateure, Endkunden – organisiert ist, für die Akzeptanz digitalisierter/automatisierter Prozesse eine wichtige Rolle, Kanalkonflikte zwischen den Distributionsstufen möglichst zu vermeiden.

Während der Corona-Krise waren wir – die Autoren dieses Beitrags – in leitenden Vertriebsfunktionen für ein internationales Technologieunternehmen mit mehrstufigem bzw. vertikalisiertem Vertriebssystem tätig. Von „heute auf morgen“ waren unsere Vertriebsteams gefordert, von „physisch“ auf „remote“ umzustellen.  „Mobiles Arbeiten“ und Online Meetings wurden zur Normalität. Der Vertrieb war mehr denn je gefordert. Warum ist es trotz der physischen Isolation von Vertriebsmitarbeitern und Kunden sowie des enormen Ausmaßes negativer Krisenauswirkungen auf die Logistik, den Bezug von Vorleistungen oder Zwischenprodukten, auf Produktionskapazitäten und Liefertermine gelungen, profitables Umsatzwachstum zu generieren? Kern des Erfolgs waren die langjährigen, persönlichen, vertrauensvollen und dadurch sehr belastbaren Kundenbeziehungen, die – trotz zunehmender digitaler Erschöpfung aller Beteiligten –  entscheidend dafür waren, die lange Phase der ausschließlich virtuellen Kommunikation zu überstehen. Derartige Beziehungen und Partnerschaften können sich nur durch langfristige zwischenmenschliche Präsenz stabil entwickeln. Das Zauberwort heißt Vertrauen. Jede Beziehung hat eine Struktur. Kein Vertriebsteam erbringt Höchstleistungen und keine Kundenbeziehung erfüllt dauerhaft die gegenseitigen Erwartungen, wenn die Vertrauensbasis fehlt.

2 in 1: Maximale Vertriebskompetenz

Unsere Kunden wollen während ihrer persönlichen Customer Journey weder auf ein hervorragendes Digitalerlebnis noch auf die Möglichkeit zur persönlichen Kommunikation verzichten. Digitale Tools unterstützen uns im Vertrieb beispielsweise dabei,

  • mehr Leads zu generieren und zu qualifizieren (z.B. durch Intelligentes Lead-Management oder Smart Campaign Triggers)
  • proaktiver im Account- und Retention-Management zu agieren,
  • kürzere Verkaufszyklen und Abschlussprozesse zu realisieren

sowie hoch-personalisierte Kaufanreize zu schaffen. Die Vertriebskompetenz liegt im richtigen Maß von physischen und digitalen Interaktionen zur Schaffung konsistenter Kundenerlebnisse. Erfolgreiche Vertriebsorganisationen müssen nicht nur fit im Verständnis der grundlegenden Funktionsweisen sowie in der Anwendung digitaler Tools und Techniken sein. Neben den Kompetenzen zur erfolgreichen Positionierung mittels digitaler Kanäle muss die Fähigkeit zum Aufbau, zum Erhalt und zur Weiterentwicklung zwischenmenschlicher Kundenbeziehungserfahrungen durch das Vertriebsmanagement gefördert, gefordert und regelmäßig innerhalb der Organisation trainiert werden. Hören wir damit auf, beginnen unsere Fertigkeiten zu verkümmern und gehen früher oder später verloren: „Use it - Or lose it“!

Kundenbeziehungserfahrungen der Zukunft?

Abschließend möchten wir noch einen Blick in die Zukunft wagen. Wie könnte sie aussehen? Eine Zukunft, in der Emotionen in Computersoftware modelliert werden? Eine Zukunft, in der Roboter über eigenes Bewusstsein, praktischen Verstand und emotionale Intelligenz – ähnlich dem Roboter WALL-E aus dem gleichnamigen Film von Andrew Stanton (2008) – verfügen und ggf. sogar komplexe soziale Nahbeziehungen eingehen können?

Die digitalen Möglichkeiten zur Ausgestaltung von Kundenbeziehungserfahrungen werden sich schnell weiterentwickeln. In welchem Ausmaß Programme übernehmen werden, können wir heute noch nicht vorhersagen. Trotz der rasant fortschreitenden Entwicklungen in der Robotik, KI und im Affective Computing (der automatisierten Erfassung von Emotionen, Gefühlen, Verhaltenswahrscheinlichkeiten, Tauglichkeiten)  sind die Autoren dieses Beitrags davon überzeugt, dass der Aufbau und die Aufrechterhaltung von persönlichen Beziehungen auch in Zukunft von entscheidender Bedeutung sein wird. Die „Beziehung“ zu einem Chatbot oder (sozialen) Roboter wird die Beziehung zu einem Menschen nicht ersetzen können. In unser Emotionalität bzw. Gefühlswelt liegen Nuancen, die durch Softwareprogramme und Maschinen nicht in Frage gestellt werden können. Auch in Zukunft gilt: Der MENSCH macht den Unterschied.

„The real problem is not whether machines think but whether men do. The mystery which surrounds a thinking machine already surrounds a thinking man [B. F. Skinner, Contingencies of Reinforcement; A Theoretical Analysis; 2014].”

AUTOREN:

Dr. Marcus Kind, Geschäftsführer

Michael Schäfer, Vertriebsleiter

 

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