Von unserem INTERIM EXECUTIVE Dr. Marcus Kind
Die Entscheidungswissenschaft lässt uns immer besser verstehen, wie wir eine Wahl treffen und welche Wege zu guten Entscheidungen führen können. Unsere Wahrnehmung ist grundsätzlich beeinflussbar und anfällig für Störungen. Selbst hohe fachliche Qualifikation und umfangreiche Erfahrungen schützen uns nicht immer davor. Entscheidungen können auch durch Kommunikationsmuster beeinflusst werden. Nachfolgend möchte ich einige Framing-Grundlagen vermitteln und mit Beispielen aus der Praxis verdeutlichen.
Frame, Framing
Nicht Vernunft und nüchterne Analyse allein bestimmen in Entscheidungssituationen unser Denken und Handeln. Vielmehr greift unser Gehirn während des Entscheidungsprozesses auch auf mentale Abkürzungen, sogenannte Heuristiken, zurück [siehe Kind M., Verfügbarkeitsheuristik, 5.12.2023, www.taskforce.net]. Eine maßgebliche Rolle spielen dabei sogenannte Frames (Rahmen). Frames sind kognitive Strukturen, mit deren Hilfe wir die Welt um uns herum interpretieren [vgl. z.B. Goffman E., Entman Robert N.]. In ihnen verschmelzen unsere Werte, Sozialisation, Erfahrungen und kulturellen Einflüsse. Frames funktionieren wie Filter, die uns intuitiv darin beeinflussen, welche Informationen wir auswählen, wie wir sie verarbeiten, an Probleme herangehen und Entscheidungen treffen. Unter Framing wird zum einen die absichtsvolle Gestaltung von Botschaften [vgl. D’Angelo/Kuypers 2009] und zum anderen der Prozess der mehr oder weniger bewussten Aktivierung mentaler Strukturen verstanden [vgl. Chong D./Druckman J. N. 2007]. Wir alle sind der Beeinflussung durch Framing zugänglich.
Den Techniken des Framings haftet aufgrund ihres Manipulationspotenzials oft ein schlechtes Image an. Beim Strategischen- bzw. Emphasen-Framing erfolgt durch den Frame-Produzenten eine gezielte thematische und/oder ideologische Schwerpunktsetzung, um Einfluss auf die mentale Verarbeitung der Bewertungs- und Entscheidungsprozesse des Adressaten zu gewinnen, und so bei ihm eine erwünschte Interpretation zu erreichen. Zu einem Sachverhalt werden nur bestimmte Informationen präsentiert und andere, die nicht in den Frame des Produzenten passen, ausgeklammert. Die Botschaft des Frames trifft in der Kommunikation auf bereits in den Köpfen der Adressaten verankerte individuelle Heuristiken. Passt der Frame in den persönlichen Rahmen, löst er den gewünschten Effekt aus. Durch semantisch unterschiedliche Formulierungen der gleichen Botschaft können auch Präferenzumkehrungen beim Adressaten ausgelöst werden.
Strategische Kommunikatoren müssen demnach beim Frame-Building um die mögliche Wirkung (Frame-Setting) ihres Frames in ihrer Zielgruppe wissen. Ob ein Frame Resonanz und eine möglichst einheitliche Bewertung eines Themas erzeugt, hängt auch von der Befindlichkeit innerhalb der Gruppe (z.B. einer organisatorischen Geschäftseinheit) ab. So entfalten beispielsweise Gewinn- oder Verlustframes eine stärkere Resonanz, wenn sie zum Motivationssystem (Gewinnausrichtung vs. Verlustvermeidung) der Gruppe passen [vgl. Oswald M.]. Sieht sich z.B. eine Geschäftseinheit aktuell auf einem Verlustpfad, kann die Betonung von Verlustargumenten für die nächsten Schritte zielführend sein. Die Mobilisierung erfolgt dabei im Verlustkontext – „... aufgrund der aktuellen Marktsituation ist unser Umsatz und Ergebnis unter Druck … wir müssen deshalb folgende kostensenkenden Maßnahmen ergreifen: …“ – und dessen versprochener Umkehr – „…durch den Launch eines neuen Produktportfolios werden wir wieder auf die Erfolgsspur zurück kommen …“.
Unternehmen befinden sich in einem stetigen Prozess strategischer Anpassungen auf Umfeldereignisse, die eine strategische Kommunikation erfordern, um die erwünschte Interpretation einer Sachlage und Mobilisierung ihrer Mitarbeitenden zu erreichen. Framing ist per se also nicht gut oder schlecht zu bewerten. In der betrieblichen Praxis führt kein Weg am Framing vorbei, da es helfen kann, das Narrativ zu gestalten, Erwartungen aufeinander abzustimmen und Handlungen von Stakeholdern zu motivieren. Nachfolgend einige Framing-Beispiele in unterschiedlichen Kontexten.
Krisenmanagement
Unternehmen sind bestrebt – ggf. auch durch Aktivitäten außerhalb des Kerngeschäfts – ihre Wachstumschancen wahrzunehmen. Unerwartete Situationen mit möglicherweise weitreichenden Folgen gehören zum Unternehmensalltag. Risiken können auch durch politische Entscheidungen erwachsen:
Die Entscheidung der Bundesregierung, die Förderung für Elektrofahrzeuge früher als geplant auslaufen zu lassen, belastet die Betriebsergebnisse bei einigen Branchenakteuren. Insbesondere für Unternehmen, die auf eine lange Erfolgsgeschichte zurückblicken, ist eine solche Situation ungewohnt. Die Botschaft an die Mitarbeitenden, dass durch diese Entscheidung nun zusätzliche Liquiditäts- und Ausfallrisiken entstehen, welche begrenzt, bzw. vermieden werden müssen, ist nicht leicht zu vermitteln. Kompetenz im Sinne einer gut durchdachten und Orientierung gebenden strategischen Kommunikation ist gefragt. Diese muss in einen Rahmen gesetzt werden, der eine gemeinsame Problemperspektive auf die neue Situation ermöglicht und gleichzeitig Vertrauen in die Wirksamkeit von möglichen Gegenmaßnahmen vermittelt. Werden strategisch gesetzte Botschaften nicht glaubhaft mit der Unternehmensrealität abgeglichen, überzeugen sie die Mitarbeitenden nicht und es besteht die Gefahr, dass die Meinungsbildung und Motivation der Rezipienten negativ beeinflusst wird.
Nachhaltigkeit
Insbesondere bei komplexen strategischen Veränderungen wie der Nachhaltigkeitstransformation [siehe Kind M., Mehrwerttreiber Nachhaltigkeit, 23.1.2024, www.taskforce.net] ist es wichtig, eine gemeinsame Perspektive im Unternehmen zu entwickeln. Dabei stellt sich die Frage nach der grundsätzlichen nachhaltigkeitspolitischen Ausrichtung sowie danach, welche Handlungsfelder im Unternehmen priorisiert werden sollen. Abhängig davon, welche ökonomischen und gesellschaftlichen Werte als Bezugsrahmen von der Geschäftsführung für die nachhaltige Unternehmensausrichtung angelegt werden, müssen zur Vermittlung der Ziele und Werte entsprechende Kommunikationsstrategien entwickelt werden, die eine möglichst hohe Anschlussfähigkeit gewährleisten.
Private Equity – Fundraising und Portfolioarbeit
Investoren in Private-Equity-Fonds stehen bei ihrer strategischen Vermögensallokation grundsätzlich vor der Herausforderung, unter den im Fundraising befindlichen Fonds diejenigen auszuwählen, die ein stabiles und ausbalanciertes Portfolio bilden. Bei der Planung und Diversifizierung ihrer Anlagestrategie setzen Private-Equity-Investoren zunehmend auch auf Fonds, die finanzielle Rendite mit positiver sozialer und/oder ökologischer Wirkung vereinen. Nachhaltigkeit wird immer seltener als reines Compliance- oder Offenlegungsthema, sondern auch als Werttreiber gesehen. Eine überzeugend kommunizierte ESG-Strategie kann insbesondere auch zum Mittelstand Türen aufstoßen und darüber hinaus neue Exit-Kanäle (z.B. für Impact-Investoren) öffnen. Aufgrund der langen Fondszyklen geht es für Fonds-Manager deshalb nicht nur darum, sich mit den neuen rechtlichen Vorgaben auseinanderzusetzen, sondern auch darum, die eigene Positionierung zu ESG in ihrer Portfolioarbeit einzuordnen. Wer in der Außenkommunikation und im Fundraising gut aufgestellt sein möchte, muss sich nicht nur in die Erwartungshaltung seiner Investoren hineinversetzen können, sondern auch die eigenen Nachhaltigkeits-Wertvorstellungen glaubhaft in einen strategischen Kommunikationsrahmen einbinden.
Markenführung
Strategisches Framing kann in der Markenführung viele Chancen eröffnen, wenn es darum geht, Werbebotschaften besser zu „verpacken“ und dadurch mehr Kunden zu interessieren. Starke Marken haben die Eigenschaft, als Frame für Informationen zu dienen. Marken können Botschaften zuverlässig und vertrauenswürdig erscheinen lassen.
Projektmanagement
Im Projektmanagement ist Framing ein leistungsstarkes Werkzeug zur positiven Motivation der Teammitglieder. Ganz gleich, ob es darum geht, Rückschläge in Lernmöglichkeiten umzuwandeln oder die Notwendigkeit einer neuen Projektausrichtung hervorzuheben – positives Framing fördert eine optimistische Denkweise und damit die Resilienz des Teams gegenüber Rückschlägen.
Priorisierung von Ressourcen
Im innerbetrieblichen Wettbewerb um Ressourcen kommt es regelmäßig vor, dass beispielsweise Informationen für ein strategisches oder Investitionsvorhaben so „verpackt“ werden, dass die eigenen Anliegen legitimiert werden und so die Bestätigung des Vorhabens erreicht wird.
Hinweise zum Umgang mit Framing
Nachfolgend möchte ich einige Empfehlungen für den Umgang bei der Produktion von Frames sowie Hinweise geben, wie die eigene Widerstandsfähigkeit gegenüber Framing erhöht werden kann.
Für Frame-Produzenten:
- Führungskräfte sollten sich grundsätzlich stärker mit den Mechanismen auseinander setzen, wie Menschen Informationen aufnehmen und verarbeiten.
- Frames müssen authentisch gestaltet sein, um mobilisieren zu können. Seien Sie sich darüber bewusst, welche Botschaften Sie tatsächlich senden. Dabei kommt es auch darauf an, was nicht gesagt wird, aber mitschwingt. Im ungünstigen Fall kann es zu Polarisierungen und Zurückweisungen kommen.
- Bevor Sie einen Frame „aufspannen“ sollten Sie diesen selbst hinterfragen und kontrollieren. Dies erfordert Übung, da die Erarbeitung Ihres Frames bereits durch Ihre eigenen kognitiven „Voreinstellungen“ beeinflusst wird.
- Achten Sie genau auf Ihre Sprache und analysieren Sie die Werte und Motivationssysteme Ihrer Zielgruppe(n). Je besser ein Frame beispielsweise mit den Einstellungen und Motivationssystemen einer Organisationseinheit übereinstimmt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er die geplante Wirkung entfaltet.
- Ihre Botschaft sollte von glaubwürdigen Quellen gestützt werden, die Ihre Informationen bestätigen und Ihr Fachwissen sowie Ihre Autorität in Bezug auf das Thema demonstrieren.
- Vermitteln Sie Botschaften in einer Art und Weise, die den Rahmen stärkt. Machen Sie von visuellen Hilfsmitteln und non-verbalen Hinweisen (Körpersprache) Gebrauch.
- Bedenken Sie: Moralisches Framing erzeugt mehr Dringlichkeit und damit eine höhere Zustimmung oder Ablehnung zu einem Vorhaben.
- Antizipieren Sie potenzielle Gegenrahmen. Seien Sie bereit, gegensätzliche oder alternative Ansichten anzuerkennen, zu widerlegen oder umzuformulieren.
- Insbesondere hochrangige Frame-Produzenten sollten über hohe Sozial- und Verhaltenskompetenzen verfügen, um die Kommunikation für die Mitglieder einer Zielgruppe möglichst „attraktiv“ gestalten zu können. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein sachlich angemessenes Framing als nicht repräsentativ angesehen und abgelehnt wird.
Für Frame-Rezipienten:
- In jeder Kommunikation findet – bewusst oder unbewusst – Framing statt. Versuchen Sie sich klarzumachen, dass Sie z.B. ökonomische und politische „Wirklichkeiten“ oft in Form von Rahmen präsentiert bekommen, die einen Zweck verfolgen. Mit ein wenig Übung sind Sie jedoch in der Lage, Bedeutungsrahmen zu analysieren und zu durchschauen. Das eröffnet Ihnen die Möglichkeit, sie entweder zu nutzen oder durch alternative Frames zu ersetzen.
- Motivieren Sie sich, die Formulierungen von Entscheidungsempfehlungen und Handlungsaufforderungen genau zu analysieren. Hinterfragen Sie Ideen, indem Sie versuchen, andere Formulierungen des Problems vorzunehmen. In welchen Kontext ist die Empfehlung eingebettet? Wie werden Ihnen Entscheidungsoptionen inhaltlich dargestellt? Welche Auswirkungen könnte ein anderer Bezugsrahmen auf Ihre Überlegungen/Entscheidungen haben?
- Analysieren Sie auf eine neutrale, verschiedene Aspekte umfassende Weise, die Gewinne, Verluste und unterschiedliche Bezugspunkte berücksichtigt.
- Der Aufbau von Fachwissen zu einem bestimmten Thema fördert abwägendes Denken und eine bewusstere Informationsverarbeitung und mildert dadurch den ursprünglich gesetzten Frame ab.
- Meetings sind bisweilen durch eine angespannte, aggressive und demotivierende Kommunikationsumgebung gekennzeichnet. Wann immer Sie sich in einer solchen Lage unausgewogenen oder ungerechtfertigten sprachlichen Angriffen ausgesetzt sehen, sollten Sie in Ihren Reaktionen vermeiden, die Begrifflichkeiten, Schlagworte und Sprachmuster Ihres Kontrahenten nutzen. Dadurch greifen Sie den Rahmen auf, den der Gegner gesetzt hat („Neuronale Bestätigung“) – und sei es in Form von Verneinungen. Frames zu negieren, bedeutet, sie unbewusst zu aktivieren bzw. sie durch die explizite Reflexion manchmal sogar noch zu verstärken – mit u.U. weitreichenden Konsequenzen.
- Auch wenn es Ihnen vielleicht schwerfällt oder unmöglich erscheint – versuchen Sie, den Spieß umzudrehen. Legen Sie eigene Konzepte und Ideen auf den Tisch und setzen dadurch Ihren eigenen Bedeutungsrahmen. So verdeutlichen Sie Ihre Perspektive auf Sachverhalte. Selbst wenn diese wiederum „angegriffen“ werden – die Aufmerksamkeit Ihrer Kontrahenten wird dadurch gebunden. Ihre Gegner laufen nun ihrerseits Gefahr, sich in Ihren Rahmen „zu verfangen“. Im günstigen Fall entsteht eine Debatte auf Augenhöhe.
Literatur
- D’Angelo Paul / Kuypers Jim A. (Hrsg.) – Doing news framing analysis: Empirical and theoretical perspectives. New York: Routledge, 187–214.
- Chong D. / Druckman James N. (2007) – Framing Theory, Annual Review of Political Science, 10
- Druckman James N. (2009) – What´s it all about? Framing in Political Science
- Entman Robert M. (1993) – Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm, Journal of Communication 43 (4), S. 51 – 58
- Goffman Erving (1974) - Frame Analysis
- Goffman, Erving (1993) – Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von
- 3. Auflage. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
- Kind M. – Verfügbarkeitsheuristik, 5.12.2023, www.taskforce.net
- Kind M. – Mehrwerttreiber Nachhaltigkeit, 23.1.2024, www.taskforce.net
- Oswald M. – Strategisches Framing, 2. Auflage